Die juristische Luft für Heilpraktiker, die kinesiologisch arbeiten, wird immer dünner.
Wenn Therapeuten Werbung für Kinesiologie machen wollen, ist das ein Tanz auf einem Vulkan. Besonders relevant für Therapeuten, die mit Kinesiologie arbeiten, ist ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm. Ein OLG ist die Berufungsinstanz für Urteile, die ein Landgericht gesprochen hat.
Ich habe das Urteil an manchen Stellen vereinfacht und in verständlicheres Deutsch übersetzt:
Kinesiologische Behandlungsverfahren dürfen nicht mit fachlich umstrittenen Wirkungsangaben beworben werden, wenn in der Werbung die Gegenmeinung nicht erwähnt wird. (Leitsatz des Gerichts) OLG Hamm, Urteil vom 20.5.2014 – 4 U 57/13
Sachverhalt
Die Beklagte hatte auf ihrer Website für kinesiologische Behandlungsverfahren geworben.
Sie hatte auch darauf hingewiesen, dass man in der begleitenden Kinesiologie nicht therapeutisch tätig werde und die Behandlung keine ärztliche Untersuchung ersetze. [Dies zeigt, dass der Disclaimer nichts nützt!] Die Wirkung der Kinesiologie ist freilich fachlich umstritten. Ein deutlicher Hinweis auf die Gegenmeinung fand sich in der Werbung jedoch nicht.
Das LG hat die Beklagte auf Antrag des klagenden Wettbewerbsvereins (vermutlich der Verein für sozialen Wettbewerb) zur Unterlassung verurteilt.
Das OLG Hamm bestätigt das erstinstanzliche Verbot.
[Ab hier benutzt das OLG indirekte Rede, weil es die Aussagen des LG wiederholt, aber ich habe die Formulierungen in direkte Rede umgewandelt:] Die Werbeaussagen sind, soweit sie einen Krankheitsbezug (§ 1 I Nr. 2 HWG) aufwiesen, nach § 3 S. 1, 2 Nr. 1 HWG unzulässig.
Die Beklagte stellt zwar keine Heilung allein durch die Anwendung der (begleitenden) Kinesiologie in Aussicht. Trotzdem suggeriert sie, dass ihre Behandlung als Unterstützung einer medizinischen Behandlung zur Linderung bestimmter Krankheiten bzw. Beschwerden beitragen kann und insoweit eine Wirkungsmöglichkeit besteht.
Weil der Kläger hinreichend vorgebracht hat, dass die Wirkung der Kinesiologie fachlich umstritten ist, greift eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast ein. [Beweislastumkehr bedeutet, dass die Beklagte, also die Heilpraktikerin, beweisen muss, dass die Wirkung von Kinesiologie sehr wohl wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht.]
Die Beklagte hat dann ihrerseits nicht nachgewiesen, dass ihre Werbebehauptungen gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen.
Es kommt nicht darauf an, ob es in der medizinischen Praxis und Wissenschaft auch Befürworter der kinesiologischen Verfahren gebe. [Offensichtlich hat die Beklagte Befürworter benannt, aber das Gericht lässt diese nicht gelten, weil ihre Meinung nicht die herrschende ist.]
Ebenso wenig änderten die Einwendungen der Beklagten gegen die inhaltliche Richtigkeit der vom Kläger angeführten Untersuchungen etwas daran, dass die beanstandeten Werbeaussagen wissenschaftlich umstritten sind. Die Beklagte weist in ihrer Werbung nämlich nicht deutlich auf die Gegenmeinung hin.
Leider ist auch unerheblich, ob die Beklagte ihren Kunden unmittelbar vor der Behandlung weitere Informationen zukommen lässt, weil eine nachträgliche Aufklärung die einmal eingetretene Irreführung nicht beseitigen kann.
Werbetexte für Therapeuten zu schreiben ist ein Spießrutenlauf.
Heilpraktiker*innen stehen in Deutschland unter besonderer Beobachtung. Ihre Methoden werden oft kritisch hinterfragt; teilweise werden sie für Quacksalber gehalten. Immer wieder kursiert auch das Vorurteil, der Heilpraktiker-Schein sei in einem Wochenendseminar zu erwerben. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Die Prüfung beim Gesundheitsamt ist so anspruchsvoll, dass 50-80% der Anwärter durchfallen.
Wenn du Heilpraktiker bist und eine Website bzw. Werbetexte brauchst, solltest du dich einem Werbetexter anvertrauen, der sich in der Materie auskennt und Juristendeutsch versteht.
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